Doktortitel – Esoterik

Mit Geisterforschung zum Doktortitel: Esoterik an der Wiener Universität
Esoterik hat hierzulande die gesamte Gesellschaft durchdrungen und längst die akademische Ebene erreicht. Seit mehr als einem Jahrzehnt thront die Esoterik an der sozialwissenschaftlichen Universität Wien, genauer am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie (KSA). Das ist überwiegend ein Verdienst von Dr. Manfred Kremser. Er hat 2001 eine ausserordentliche Professur am KSA erhalten, als er bereits Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzbereiche der Wissenschaft war.

Fahrlässige Unwissenschaftlichkeit
Im März dieses Jahres (2013) ist Manfred Kremser verstorben, und im Nachruf des Instituts ist zu lesen, er habe die Ethnologie neu „auf ausserwissenschaftliche Berufsfelder“ orientiert und bei Abschlussarbeiten „Themen, die manche von uns Kollegen gelegentlich irritierend fanden“, ermöglicht. Eine noble Umschreibung für fahrlässige Unwissenschaftlichkeit: Kremser beeinflusste Studenten mit esoterischen Ideen und sammelte gleichgesinnte Lektoren um sich – so ist gleichsam ein „Wiener Hogwarts“ entstanden. Kremsers Credo, gesprochen im März 2009 beim Quellwasser Festival „Aqua anthropos“ im Völkerkundemuseum: „Wenn es gelänge, Geheimwissen mit dem wissenschaftlichem Wissen zu verbinden, dann glaube ich, könnten wir eine ganzheitliche Sicht der Welt haben.“

„Reifes“ Wasser
Schon im Jahr 2006 wurde von Kremser die Diplomarbeit „Land der Berge – Land des Wassers“ von Andreas G. abgenommen. Darin schreibt der Diplomand unter anderem, heilige Quellen hätten „meist reifes Wasser“; dieses weise einen hohen Anteil an kristallinen Strukturen auf; die Brücken zwischen den Molekülen (Cluster-Bildung) wären zwanzigmal so fest wie bei anderen Wässern, ja, reifes Wasser verhindere sogar das Wachstum von Keimen.

„Aussagekräftiges“ Wünschelrutengehen
Hydrologen würden beim Lesen dieser Behauptungen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen – all das widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen. Andreas G., der seine Arbeit „allen Wasserwesen“ widmet, übernimmt ohne jede kritische Distanz die fragwürdige These des selbsternannten „Wasserforschers“ Viktor Schauberger, dass keimfreies Leitungswasser gesundheitsschädlich sei; vom japanischen Esoteriker Masaru Emoto die Falschbehauptung, dass Wasser „Informationen“ von Worten, Musik, Gefühlen und Bewusstsein speichert; und er glaubt das Wünschelrutengehen sei aussagekräftig. Er behauptet heilige Quellen „entspringen an Energie geladenen Plätzen und transportieren die Kraft der Erde in die Welt“. Und er vermutet: „Vielleicht hatten unsere Vorfahren auch Möglichkeiten zur Messung von Kraftorten, die heute verloren gegangen sind“, womit sich seine „Forschung“ in esoterischen Spekulationen verliert. Eben: Geheimwissen!

Das widerspricht dem Qualitätsprofil der Universität
Und das, was nicht anders als ein ganzheitlicher Irrtum bezeichnet werden kann, wurde mit einem Diplom ausgezeichnet. Das widerspricht dem Qualitätsprofil der KSA, das unter anderem das „Know-how für Recherche, Datenerhebung und kritischen Umgang mit den Quellen“ vermitteln, sowie „die Fähigkeiten zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten und analytische Fertigkeiten“ lehren will. Der kritische Umgang mit Quellen und Recherche-Know-how ist allerdings auch in folgenden Beispielen nicht zu finden, die sich intensiv mit dem Thema Schamanismus beschäftigen. Dabei werden zwar die allgemein üblichen Werkzeuge der Anthropologie angewendet, doch allzu oft scheint das eigene Erleben der eigentliche „wissenschaftliche“ Zugang zu sein, und vielfach wird die Perspektive der Schamanen, der „Forschungsobjekte“, eingenommen und ihr Glaubenssystem unhinterfragt übernommen.

Geister, Schamanen und anderes Aussersinnliche
Im Jahr 2008 hat etwa Karin G. über „das Unsichtbare im Schamansimus“ gearbeitet und vertritt in ihrer Diplomarbeit die Ansicht, dass die Welt der Geister real sei und Schamanen eine übernatürliche, „extrasensorische“ Wahrnehmung (ESP) hätten. Nun, die Parapsychologie forscht seit 120 Jahren über ESP – eine haltbare Aussage darüber ist ihr jedoch noch nicht gelungen. Als Beleg für das „Aussersinnliche“ berichtet die Autorin von einem Foto, das ein Tamu-Schamane bei einer Seance geknipst hatte. Auf der Nachtaufnahme seien helle Lichtspuren zu sehen, die der Schamane selbst als Abbildung von Geistern interpretiert. Karin G. zieht den Schluss, dass Schamanen tatsächlich „subtile Energie“ wahrnehmen und beeinflussen sowie mit den Geistern konkret kommunizieren könnten. Und dass es sich dabei „vermutlich mehrheitlich um Geheimwissen handelt“. Voilà! Die Diplomandin postuliert auch, dass die eigene persönliche Erfahrung (Hervorhebung im Original) die einzige Möglichkeit des Zugangs zum Unsichtbaren und zu dem anderen Wissen sei. Zweifelsohne eine „ganzheitliche Weltsicht“!

Wo Yoga „mehr“ kann
Geradezu ein esoterisches Glaubensbekenntnis ist die völkerkundliche Diplomarbeit von Anna Maria N., ebenfalls von a.o. Prof. Manfred Kremser angenommen. Der Titel des Werks über hinduistisches Pilgern enthält zugleich ihre „wissenschaftliche“ Position: „In Kashi the Earth speaks“. Die Diplomandin selbst sieht die Erde als lebendiges Wesen an, das zu Menschen im erleuchteten Zustand (Kashi) spricht. Durch Yoga könnten Menschen – wie sie meint – übernatürliche Wahrnehmung erreichen und die „Energie“ und Botschaften eines heiligen Platzes aufnehmen. Wie diese Hindutradition sei auch die moderne Geomantik ein Produkt „of a deeper contact and communication of Human and place.“ Dass die Radiästhesie längst wissenschaftlich widerlegt ist, kümmert sie nicht. Es fehlt hier jegliche Distanz zum untersuchten Objekt: Religiöse Konzepte werden nicht wissenschaftlich untersucht, sondern schlicht für wahr genommen – etwa so wie Kreationisten vorgehen, wenn sie die biblischen Erzählungen wörtlich nehmen und für real erklären.

Astrologie in Tibet
Ähnliches gilt für „Symbole der Heilung“, die Diplomarbeit von Christian M., für die der Autor tibetische HeilerInnen in der Diaspora Dharamsala aufsuchte: „Ob es sich um den Einfluss von gesundheitlichen Hindernissen im Verlauf des Jahres, übelwollende Geister, bis hin zu karmisch bedingten Krankheiten handelt, welche auf keine Therapie ansprechen, die Medizinastrologinnen versuchen mittels kosmischer Gesetze eine Lösung zu finden“, schreibt der Autor und übernimmt das tibetische Weltbild, ohne zu hinterfragen. „Selbst den kosmischen Beistand konnte ich nach meiner Reise erkennen … Astrologie begleitet unser Leben auf Schritt und Tritt. Auch wenn wir es nicht immer sehen, verleugnen lässt sie sich nicht.“ Was immer das heissen mag. Der Autor nennt Astrologie eine „mathematisch sehr anspruchsvolle Wissenschaft“ und meint, man könne diese und die Astronomie „als unterschiedliche Berechnungsmodelle ansehen.“ Ist ein akademischer Grad für solche Fehleinschätzung tatsächlich gerechtfertigt? Astronomen, die das lesen, wären – verwundert.

Alpenschamanismus
Auch StudentInnen, die weniger stark indoktriniert sind, zollen der esoterischen Haltung des Instituts Tribut: So hat Helene B. in ihrer Diplomarbeit über „Alpenschamanismus“, die etwa 100 Neoschamanen im Alpenraum erfasst und die Methoden so mancher von ihnen untersucht: Sie kombinieren alte Bräuche und Mythen mit importierten Ideen und neu erfundenen magischen Riten: Jodeln zum Aufruf der Vier Winde, Trommeln im Bauch der Mutter Erde, Kraftortwanderungen durch alles Seiende, das beseelt gedacht wird – laut Autorin ein „Gemischtwarenhandel“. Im Resümee macht sie jedoch unvermittelt einen Schwenk, bezieht sich auf fragwürdige Autoren und meint: „Der Weg zurück zur Natur ist…in unserer …rationalisierten Zeit notwendig[er]…– auch wenn dies mit einer neuartigen Form von Schamanismus passiert.“

Familienstellen nach Hellinger
Ganz im Trend liegt dagegen die Diplomarbeit von Romina L. aus dem Jahr 2011. Darin geht es um den Vergleich der Arbeit dreier Schamanen in Österreich, deren Arbeit die Diplomandin miterlebt hat, mit der Methode des Familienstellens nach Hellinger. Letztere bekannte Pseudo-Psychotherapie lernte die Autorin in einem Ausbildungsgang (!) im WIFI, dem Weiterbildungsinstitut der Wirtschaftskammer, kennen. Abgesehen von der schlampigen Sprache der Arbeit, enthält diese inhaltlich untragbare Fehler. Auch Romina L. untersucht und analysiert ihre“Forschungsobjekte“ nicht, sondern übernimmt völlig unkritisch deren Sicht der jenseitigen Dinge: Etwa dass Schamanen „tatsächlich“ mittels Trancezuständen und Ritualen auf eine existente Geisterwelt zugreifen könnten. Dass sich „auf feinstofflicher Ebene eine Transformation vollzieht“. Eine Erklärung, was „feinstofflich“ bedeuten soll, bleibt sie schuldig. Im Abschnitt „Wissenschaftlicher Erklärungsversuch“ zitiert sie fragwürdige Autoren und abstruse Ideen, etwa, dass das „menschliche Bewusstsein im Austausch mit der Quantenwelt steht“. Oder meint, esoterisch-nebulos: „Treffen Gehirnfunktionen und Bewusstsein aufeinander…..kann laut der Standardtheorie Materie entstehen.“ Solches zu lesen müsste Physiker und Biologen die Haare zu Berge stehen lassen. Die Autorin hinterfragt auch nicht die vielkritisierte Methode Hellingers, bei der Stellvertreter angeblich eins zu eins abwesende Familienmitglieder repräsentieren und deren Gedanken und Gefühle spüren könnten, was über das so genannte „morphische Feld“ – eine Vermutung des Biochemikers Rupert Sheldrake – möglich sein soll. Diese Theorie ermangelt allerdings jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Aber die Autorin regt sogar an zu untersuchen „ob das morphische Feld durch einen veränderten Bewusstseinzustand zugänglich gemacht“ werden kann. Quantenphysiker, Biologen und Psychologen müssten beim Lesen Gänsehaut bekommen.

AIDS-Leugner
Prof. Kremser hat seine Jünger erfolgreich im Wissenschaftsbetrieb untergebracht. Auch die so genannte „Awareness Research Group“ muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Einige ihrer Mitglieder arbeiten berits als Lektoren am Institut und übernehmen sogar Pflichtveranstaltungen. So wurde Veronica F. noch vor Abschluss ihrer Dissertation als Lektorin etabliert. Schon in ihrer Diplomarbeit aus 2007 („MeditatHIVe Praxis der Heilung“), bei der es um die AIDS-Problematik in Thailand geht, zitiert F. kritiklos Behauptungen von AIDS-Leugnern, bezieht sich auf Esoteriker wie Rüdiger Dahlke und Dr. Bach, dessen „Blüten-Therapie“ als Placebomethode entlarvt ist; und sie nimmt U Shein, einem Weikza – so werden in Burma Magier, Wahrsager und Alchemisten genannt –, gläubig ab, Quecksilber in Gold zu verwandeln und damit nahezu alle Krankheiten heilen zu können! Sie vertritt die – absurde – Ansicht, dass dies auch mit Meditation gelänge, und dass es wohl keine unheilbaren Krankheiten gebe. Wenn Mediziner diese Arbeit zu Gesicht bekämen, wären sie – sehr irritiert. Auch mit ihrer Dissertation („A quest for transpersonal ways of knowing in anthropology of religion and consciousness“), die sich mit der burmesischen Haltung zu „Heilung, Rettung und Erkenntnis“ befasst, ist eindeutig eine Grenze überschritten: Da nimmt die Autorin, fasziniert von seinem Ruhm, zu dem burmesischen Magier und Sektenführer Bo Min Gaung, der angeblich seit Jahrhunderten in verschiedenen Körpern lebt, Kontakt auf. Mit „seiner Unterstützung und unter seiner Leitung“ und mit ihrem Pendel (!) erfährt sie, wie sie recherchieren und die Dissertation schreiben soll (!).

Alchemie
Sie berichtet wiederum gläubig, wie der Alchemist U Shein Quecksilber in Gold verwandelt und zu Medizin verarbeitet. Darüber hinaus nimmt sie die Geomantik für wahr zitiert den britischen Radiästhesieverband als Quelle. Nun, die Autorin ist der Meinung, „dass Erkenntnis und wirkliche Einsicht nur passieren kann jenseits des rationalen Geists.“ Deshalb meditiert und „chantet“ sie, um zu erkennen, „was die wahre Natur der Dinge ist, hinter all dem Ego, hinter all dem diskursiven Gequatsche, das mein Geist jeden Tag von sich gibt (!), und hinter all den materiellen Formen…“ F. übernimmt die Weltsicht der Burmesen, und „Forscherin, das Erforschte und der Akt des Forschens verschmelzen zu einer Einheit ….ich werde mein eigenes Forschungssubjekt“: Das Credo der esoterischen Abteilung in der KSA. F. will ein „holistisches Bild“ liefern, um den „LeserInnen ein Gefühl der untersuchten Phänomene zu vermitteln“ (Hervorhebung im Original). Aber die Autorin ahnt auch: „Die Menschen werden mich für verrückt halten“.

Fotos von Geistern
Und sie riskiert es: F. wohnt Heilungs-Zeremonien bei und fühlt fasziniert, dass dabei verschiedene Geistwesen, Weikzas und sogar Buddha selbst anwesend seien. Als Beweis legt sie Fotos vor, auf denen helle Flecken zu sehen sind, und sie ist überzeugt, dass diese die Geistwesen und Buddhas Anwesenheit zeigen. Wenn Fotografen diesen Text zu Gesicht bekämen, suchten sie vielleicht Wassertropfen oder Staub auf dem Objektiv. Es ist skandalös, dass solches als wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Doktorgrades (!) angenommen wird, schliesslich mussten neben dem „Doktorvater“ Kremser weitere Prüfer den Inhalt akzeptieren. Die Zielvorgabe des Instituts verlangt von den Absolventen „vom eigenen kulturellen Hintergrund zu abstrahieren.“ Offenbar gelingt es der Autorin nicht, denn sie vermengt die burmesischen Vorstellungen mit ihrem eigenen, typisch westlichen Esoterik-Weltbild. Kremser hielt das Werk allerdings für hochwertig. Frau F. hatte schon bei Lehrveranstaltungen Fotos von ihrer Feldforschung gezeigt, auf denen sich, wie sie meint, Energien und Energieströme abbilden. Sie konnte Workshops wie etwa „Ethnography reloaded“ veranstalten, um „transpersonale Erkenntniswege“ in die Anthropologie zu integrieren. Zu Deutsch: „Wir wollen einen Raum eröffnen, der ein Forschen jenseits ‚objektiver‘ Daten- und Faktensammlung ermöglicht.“ Konkret bedeutet das: Im Trüben fischen. Subjektives Erleben ersetzt allgemeingültige Analyse, Esoterik akademischen Geist.

„Ich täusch mich, also bin ich“
Wissenschaft mit „transpersonaler Selbsterfahrung“, aber ohne Fakten und Daten – das gibt es nicht. Wissenschaft heisst zu dokumentieren was ist, eine Hypothese aufzustellen und diese anhand von gesammelten Fakten zu überprüfen, zu bestätigen oder zu verwerfen. Das geschieht hier nicht: Nach dem Motto „Ich täusch mich, also bin ich“ wird die Perspektive des Forschungsobjekts eingenommen und schlicht für wahr gehalten. Statt neuen Erkenntnissen werden veraltete Vermutungen publiziert, ja sogar himmelschreiender Unsinn. An diesem Institut werden Studenten von manchen Lehrenden esoterisch indoktriniert, statt in kritischem Denken und Hinterfragen geschult zu werden. Statt dem universitären Geist der Aufklärung agieren Geister auf dem KSA-Institut – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist zu hoffen, dass dieser „Geist aus der Flasche“ wieder eingefangen werden kann. Der Rektor der kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien ist aufgefordert, diese intellektuelle Umweltverschmutzung untersuchen zu lassen und sich von esoterischem Nonsens zu trennen.

error: Content is protected